Dr. Joseph Harnest / Stephan Harnest
/ Peter Schunda
Fritz Harnest (1905 - 1999)
Fritz Harnest wird am 16. August 1905 in München geboren. In diesem Jahr stirbt Adolph Menzel, in Dresden wird die „Brücke“ gegründet, und die „wilden“ Matisse, Derain und Vlaminck stellen im Herbstsalon in Paris aus. Er besucht die „Ludwigs-Kreis-Real-Schule“ in München; man will ihn dort für das Abitur behalten, aber seine starke Neigung zum Zeichnen und Malen, dann zu Musik und Dichtung, drängt sich vor. Der Stuttgarter Maler Professor Landenberger bestärkt die Familie darin, ihren begabten Sohn an die „Akademie der bildenden Künste“ in München gehen zu lassen. Er erreicht es auch, daß Fritz bereits mit sechzehn Jahren aufgenommen wird statt wie vorgeschrieben erst mit achtzehn.
1921 tritt Fritz Harnest in die Klasse von Professor Becker-Gundahl ein, wechselt dann nach dessen Tod in die Klasse von Professor L. v. Herterich. Hier wird nun auf dem soliden Boden einer Schule gearbeitet, deren Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Die akademische Gewissenhaftigkeit der Klasse erscheint dem neu hinzukommenden Schüler bald zu mühsam und zu eng. 1922 erhält Karl Casper einen Lehrstuhl an der Akademie: Fritz Harnest ergreift die Gelegenheit und wechselt in Caspers Malklasse über.
In der Zeichenklasse Caspers sitzt nur eine einzige Mitschülerin, sie kommt aus Hamburg, und er wird sie später als Mutz (Gertrud Ellermann) kennenlernen.
Die Hauptanziehungskraft geht für die Schüler von Caspers heller, absolut farbiger Palette aus und von der damals unerhört modernen Bildauffassung. Jede inhaltliche Gestik bewegt sich ausschließlich in der Gewichtsverteilung von klar leuchtenden Farbflächen. Selbst gezogene Linien oder Tupfen kommen aus einem breiten Pinsel. Es zeigt sich, daß der noch sehr junge Fritz Harnest in diese Atmosphäre, in der es malerisch auch einmal großspurig zugeht, erst hineinwachsen muß. Bald wird es ihm aber gelingen, sich aus dieser Schule heraus zu einem Maler zu entwickeln, der ebenfalls alle Bildaussage in die reine Farbigkeit legt. Selbst noch sein Alterswerk (in dem er einen ganz eigenständigen Weg finden wird) zeigt irgendwie den für die Casperschule charakteristischen Umgang mit der Farbe. Die schwere Inflationszeit stört das Studium und erfordert die Mithilfe im elterlichen Hotelbetrieb in Dießen. Einige Gäste bringen manch Anregungen ins Haus: eine Familie aus der Schweiz zum Beispiel schenkt ihm eine Faksimile-Ausgabe von Franz Marcs „Skizzenbuch aus dem Felde“. Anläßlich eines Besuches bei Thomas Theodor Heine wird, außer über den üblen Geruch von Kakteenblüten, vor allem über Edvard Munch gesprochen.
1922 bis etwa 1925 malt Fritz Harnest hauptsächlich eine Reihe von Ölporträts von Gästen, vor allem von deren Töchtern, und von den eigenen Familienangehörigen. Gelegentlich geht er mit dem in Dießen ansässigen Kunstmaler Schilcher hinaus in die Landschaft. Ziel ist für ihn schon jetzt eine freie Bildauffassung, die er dem fügsam Gelernten überordnet. Inspiriert geht er 1924 nach Berlin. Angesehene Familien nehmen ihn dort auf, und er schafft einige weitere Ölporträts, die ihm auch vergütet werden. „Die Freunde“ von Kokoschka und „Der Goldfisch“ von Klee, ausgestellt im „Kronprinzenpalais“, beeindrucken ihn tief. Er kehrt in sein Elternhaus zurück, wo die Mutter als eine ausgebildete Sängerin mit Kontakten zur Münchner Musikgesellschaft Konzertabende veranstaltet.
Im dicken Gästebuch von damals findet sich der Name
mancher künstlerisch und sonst kulturell anregender Persönlichkeit.
Die Zeit wird jedoch politisch immer unruhiger. Einige Gäste tragen
den heranwachsenden Ungeist des Nationalsozialismus ungebeten über
die Schwelle des Hauses. Sie fordern Fritz Harnests Vater auf, langjährigen
jüdischen Gästen die Einkehr zu versagen - wogegen sich dieser
energisch wehrt. Ebenso mißfallen ihm die „Porträte“ (so nennt
er sie) des Gastes Adolf Ziegler, deren Glattheit und Kälte er gar
nichts abgewinnen kann. Durch eine architektonisch-statische Fehlplanung
eines Gesamtumbaus läßt sich das Anwesen in Dießen nicht
mehr halten, und die Familie kehrt 1926 nach München zurück.
Im Keller der Münchner Wohnung kommen dann bei den Bombenangriffen
1944 fast alle Arbeiten von Fritz Harnest aus den Jahren 1922 bis 1925
und davor um. Alles Übrige ist verschollen.
Für Fritz Harnest wird es Zeit, nach Paris zu gehen, um sein künstlerisches Gesichtsfeld und seinen Lebenskreis zu erweitern. Er trifft im Juni 1930 dort ein, begegnet seinem Freund Otto Baumann aus der Casper-Klasse, dem späteren Maler in Regensburg. Mit ihm soll sich eine lebenslange warme und geistvolle Freundschaft verbinden. Die erwartete Begegnung mit der französischen Avantgarde findet nicht statt, aber dafür sieht er eine Ausstellung von Kokoschka, Hofer und Beckmann, von der er immer mit tiefem Respekt sprechen wird. Fritz Harnest und Otto Baumann bringen sich in bescheidenster Weise über den Winter hinweg. Sie pendeln zwischen Paris, Veules les roses, Dieppe, gelegentlich eine Arbeit verkaufend. Baumann bringt ihm die intensive Lektüre von Nietzsche und Heinrich Heine nahe, die für ihn lebensbegleitend werden. Nach der Rückkehr seines Freundes nach Deutschland bleibt Fritz Harnest noch einige Monate und zeichnet Blätter, die er dann in München Günther Franke zeigt.
1931 kehrt er, wie er später bekennen wird, nicht als eine grundlegend gewandelte, von nun an fertig definierte Künstlerpersönlichkeit aus Paris zurück. (Vielen anderen erging es so, deshalb wurde dies allgemein erwartet.) Sein malerischer Vortrag ist nach wie vor der Casperklasse verpflichtet, aber indem er nun eine neue Aussage anstrebt, beginnt er, eine eigene Auffassung der Thematik zu entwickeln. Dennoch zieht es ihn sofort zur Akademie. An einem schönen Sommertag trifft er Mutz Ellermann im Akademiegarten malend, und nach jahrelanger persönlicher und künstlerischer Verbindung werden sie 1935 heiraten. Früh morgens am 6. Juni 1931, ein paar Tage, nachdem sie sich in der Akademie kennengelernt haben, treffen sie sich bestürzt vor den rauchenden Trümmern des abgebrannten Glaspalastes.
Die Sezessionisten, das Gesamtwerk von Cuno Armiet, die Romantiker und so vieles Wichtige sonst sind für immer dahin. Im Garten liegen die halb zusammengeschmolzenen Bronzen von Auguste Rodin. Wie von einem bösen Omen für dunkle Zeit wird Fritz Harnest immer davon erzählen. Im gleichen Jahr besucht er seinen Freund Werner Berg in dessen „Rutarhof“ in der Steiermark; ihre Freundschaft hält jedoch nicht lange.
Die Ölbilder, Graphiken und Zeichnungen, die ab 1931 entstehen, nehmen im weitesten Sinn die sozialen Probleme auf, vor allem in radierten und lithographierten Blättern. Dies geschieht aber immer malerisch-bildhaft, ohne literarische oder gar aufwühlende und damit realistische Schärfe wie etwa bei Käthe Kollwitz. Die gewissermaßen enklavenhafte Ruhe in der Casper-Klasse hingegen, Fritz Harnests neue Bildwelt, seine ganz persönliche Betrachtungs- und Erlebnisweise, sein freigesetzter Fleiß, all dies mündet in einen unverwechselbar eigenen Weg. (Eine ganze Reihe von Radierungen und Zeichnungen kann dies heute noch belegen, doch von den Lithographien und Ölbildern aus dieser Zeit sind nur wenige erhalten.)
Es läßt sich nun bereits etwas für sein Werk und dessen Adaption Charakteristisches ausmachen, das Fritz Harnests Kunst mehr oder weniger deutlich begleiten wird: Die Leute, vor allem auch Sachkundige, kennen sich bei ihm nicht recht aus. Es ist nicht reine Nachfolge der Casperschule, nicht wirklicher Nachexpressionismus, nicht eigentlich Nolde- oder Munch Gefolgenschaft, wo ist der ausgesprochene Harnest? - so wurde oft gesagt... Dies ist unerquicklich und führt allenthalben zu Distanzierung.
1933 beziehen Fritz Harnest und Mutz ein Atelier in Harlaching bei einem befreundeten Münchner Arzt, der dann wegen seiner jüdischen Abstammung emigriert. Sie verbringen mehrere Ferien in Hamburg, Mutz Ellermanns Heimatstadt. Er lernt Max Sauerland kennen - neben vielen anderen für ihn wichtigen Persönlichkeiten - und Sauerland rät ihm, Emil Nolde aufzusuchen. Dies gelingt 1934. Nolde wird trotz seines Mißtrauens zugänglich; er kauft einige Radierungen von Fritz Harnest. Nolde und Harnest führen über mehrere Jahre einen (weitgehend erhaltenen) Briefwechsel; sie schreiben hauptsächlich über ihrer beider Entrüstung darüber, daß die Nazis in München Stücke als „entartete Kunst“ ausstellen. Wie Fritz Harnest später sagen wird, ist die Anerkennung seines Arbeitsweges duch Nolde wie eine Bürgschaft, mit der er den Gegnern, Zweiflern und Zaghaften gegenübertreten kann. Nolde vermittelt ihm die Chance, in der „Juryfreien Kunstschau“ Berlins auszustellen. Die Presse schreibt immerhin, seine Bilder seien dort „der einzige Lichtblick“ - schwankend genug, wenn es daneben zu Karl Caspers Bildern heißt: „...weniger Talent wäre mehr...“.
Fritz Harnest und Mutz heiraten im Jahr 1935. Er schafft eine Reihe von Ölbildern auf einem Hof in Mittergschwendt bei Fischbachau, wo sie die Sommer von 1934 bis 1936 verbringen. Das gesellschaftliche Milieu dieser Bauern fesselt ihn. Es entstehen mehrere Radierungen mit bäuerlichen Figuren. Als aus Paris zurückgekehrter Gaststudent druckt er sie nicht mehr in den Graphikwerkstätten der Akademie, sondern in der Buchdruckergewerbeschule in der Münchner Prannerstraße.
Der neue Besitzer des Harlachinger Ateliers zwingt sie 1936/37 auszuziehen, indem er drohend auf Fritz Harnests Freundschaft zu dem jüdischen Arzt hinweist. Im benachbarten Biergarten „Gut von Harlaching“ nimmt man sie großzügig auf. Viele Skizzen, großformatige Zeichnungen und Aquarelle entstehen, die mit einer ziemlich radikalen Verdichtung Motive hauptsächlich aus den Isarauen und dem Tierpark bildlich umsetzen.
1937 wird Sepp Harnest geboren. Nach einem kurzen, unbefriedigenden
Versuch, sich in Hamburg niederzulassen, kehren sie ins Chiemgauer Achental
zurück, das Fritz Harnest bereits kennt, und 1938 zieht die Familie
in eine Wohnung in Übersee. Hier bleiben sie zwanzig Jahre lang, und
hier kommt der Sohn Ulf zur Welt. Leider ist nun keine Werkstatt für
Lithographie und Radierung verfügbar. In seinen immer noch gegenständlichen
Zeichnungen, Aquarellen und Ölbildern fährt Fritz Harnest fort,
großflächig die Gewichte allein kompositionell zu setzen. Nichts
Erzählerisches ist in seinen Bildern. In rascher Folge schafft er
bäuerliche Figuren, Porträts, Obstgärten, Tiere auf Hof
und Weide, immer nach der gültigsten Bildordnung suchend. Vieles verwirft
er als unfertig: Ein Ölbild nach dem anderen wäscht Fritz Harnest
in der Wanne mit Kernseife und Bürste wieder von der Leinwand und
beginnt einen neuen Versuch. Gemälde aus dieser Zeit sind rar, und
auf mancher Rückseite finden sich noch Reste nicht mehr zu ahnender
Konzeptionen.
Immer mehr wirft nun die Macht des Nationalsozialismus ihre schweren Schatten auf jedes freie künstlerische Tun. Man kündigt Carl Casper, seine Klasse wird aufgelöst. 1940 bricht der Krieg aus, und die künstlerische Kontinuität für Fritz und Mutz Harnest reißt einstweilen ab.
Mutz, die ihren eigenen künstlerischen Weg als Zeichnerin gegangen ist, unterrichtet in einer Überseer Schule. Sie muß einen Kollegen vertreten, der enthusiastisch „für den Sieg des Führers zu den Fahnen eilt“. Viele werden sich lebhaft an Mutz‘ Abneigung gegen die unverschämt anmaßende neue Ideologie erinnern. Sie kann nicht aus einerseits, und andererseits erweist sich bald, daß die Familie ohnehin das Geld braucht. Ihr Einkommen als Lehrerin ist oft die einzige wirtschaftliche Stütze für die Familie; sie verdient auch das Geld für das Arbeitsmaterial Fritz Harnests. Sie kann nur wenige Arbeiten schaffen in dieser Zeit. Als sie mit fünfundsechzig Jahren endlich aus dem Dienst ausscheiden kann, beginnt sie, in großer Fülle ihr eigentliches zeichnerisches Werk zu schaffen.
Im Jahre 1940 wird Fritz Harnest zum Wehrdienst eingezogen. Er hat das Glück, daß er aufgrund seiner Französischkenntnisse Dolmetscher in einem Gefangenenlager in Moosburg werden und dies bis zum Kriegsende bleiben kann. Sein fortwährend gutes Einvernehmen mit einer Gruppe Franzosen macht ihn verdächtig. Während man sein Klavierspiel von Hindemith-Sonaten im Offizierskasino immerhin schimpfend toleriert, bringen ihn seine wiederholten antinazistischen Äußerungen in ernsthafte Gefahr, der er nur knapp entkommt. Selbst jetzt, mit sehr wenig Freizeit und sehr wenig Platz, ist er produktiv, wann immer es möglich ist. Heimlich schafft er Zeichnungen, kleine Holzschnitte (so eine Mappe zu Goethes Gedichtzyklus „West-östlicher Diwan“), Aquarelle und da und dort ein Ölbild. Darunter sind erstmals ornamental-abstrakte Versuche, die, wie man sagt, auf Paul Klee zugehen. Am 16. Mai 1945 kehrt Fritz Harnest strapaziert, aber heil nach Hause zurück. Auf Anraten Noldes hatte er eine Mappe an Kurt Weidemann im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ geschickt; die Mappe langt nun unversehrt per Post bei ihm ein, mit einem Bescheid der alliierten Militärbehörde, wie ein Signal zum Ende der schrecklichen Zeit. Die geistige Freiheit ist ab 1945 wiedergewonnen, aber der materielle Boden [die m. Grundlage] für die Lebensbedürfnisse [für das Überleben] muß überall zäh erarbeitet und of quasi aus dem Nichts geschaffen werden. Fritz Harnest übersetzt Bücher und gibt privaten Kunstunterricht - der in pädagogische Katastrophen mündet. Mutz Harnest wird 1947 entlassen, weil sie ihr Staatsexamen in Hamburg und nicht in Bayern gemacht hat: aufgrund gewisser Bestimmungen zur Wiedergutmachung werden durch Flucht hereindrängende Lehrer vorrangig eingestellt. Zum Glück wird Fritz Harnest 1948 vom Malerehepaar Jos. C. und Sasse Huber aus Seeshaupt eingeladen, mit ihnen eine Theaterdecke in Wiesbaden auszumalen. Er übernimmt das Rankenwerk der Weinreben. Es ist reine Frescoarbeit mit Kasein auf frischem Mörtel. Der dringend nötige Erlös daraus schmilzt aber im gleichen Jahr durch Inflation und Währungsreform zu beinahe nichts zusammen.
Fritz Harnest beginnt nun einundvierzigjährig, durch die Kriegsjahre aufgehalten, aus seiner bisherigen Bildvorstellung heraus einen entschieden neuen Weg einzuschlagen. Zunächst werden menschliche Figuren und Gruppen immer mehr auf einfache Formen und reine Farben zurückgeführt. Er entwickelt seine eigene abstrakte nichtliterarische Formensprache. Schließlich übersetzt er in diese Sprache bildhaft akzentuierte Episoden aus der Bibel, aus der griechischen Mythologie, aus Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“.
Nicht recht zutreffend werden hier Anschlüsse an Meistermann und Nay vermutet: Unverzüglich entwickelt Fritz Harnest die formelle Sprache seiner Bilder weiter, und er wird diese Entwicklung bis zu seinen spätesten Arbeiten ständig vorantreiben. (Die Entwicklungsstadien sowie die vielen Ausstellungen werden an anderer Stelle beschrieben.)
Durch Werner Gilles‘ Votum wird Fritz Harnest 1959 ordentliches Mitglied der „Neuen Gruppe“ in München, seine Bilder werden dort jedes Jahr gezeigt. Mutz, die ihren Lehrberuf wiederaufnimmt, zeichnet auch wieder, so weit es die Zeit zuläßt, und stellt ebenfalls im „Haus der Kunst“ in München aus.
Fritz Harnests Leinwände werden immer größer,
oft bis über zweieinhalb Meter; die Wohnung wird zu eng. 1958 gestaltet
er zusammen mit dem Keramiker Richard Bampi die vier Treppenhauswände
des Finanzamtes in Säckingen sowie eine Flur- und eine Saalwand im
Kasino der Kaserne in Stetten am kalten Markt. In einem 1959er Projekt
mit den Künstlerkollegen Rupprecht Geiger, Reinhard Omir und Walter
Raum schafft er ein wuchtig farbiges Glasfenster am alten Gebäude
der Technischen Universität München; die Künstlerkollegen
gestalten jeweils eines der anderen Fenster.
Ermutigt durch Aufträge, kann Fritz Harnest 1959/60 der Familie ein eigenes Haus mit Atelier bauen. Von 1962 an beginnt in befreitem Elan eine lange Periode intensiver und stetiger Arbeit für Fritz Harnest.
Eine große Zahl von Arbeiten geben Kunde von den Entwicklungsstufen und der Fülle. 1967 kann Mutz den Schuldienst beenden; erneut schaffen die beiden eine Atmosphäre gemeinsamen Arbeitens. Neben vielen anderen Stücken schafft Fritz Harnest: Das rote Bild „Und was ist alles Sein“ (1962); Holzschnitte, aus mehreren Japanpapierbogen zusammengesetzt und selbst mit dem Falzbein abgezogen; die Triptychon-artige Bildsequenz „Anakreon“, die durch Hugo Wolfs Goethe-Vertonungen angeregt ist. Bis über ihr achtzigstes Lebensjahr hinaus singt Mutz Harnest als professionell ausgebildete Sängerin allabendlich, von Fritz am Klavier begleitet, Lieder von Mozart bis Schönberg. Der kontinuierliche Lebensgang erleidet einen jähen Einbruch, als Fritz Harnest 1972 schwer erkrankt. Mühsam und ängstlich erholt, nimmt er die gewohnte Arbeit wieder auf. Neben den gemalten Arbeiten schafft er Holzschnitte, nun in körperlicher Anstrengung, darunter die konsequent jeden Dezember entstehenden „Neujahrsholzschnitte“ für die Freunde.
Im Sommer 1989 schlägt der Keramiker Klaus Steindlmüller vor, gemeinsam Bildschalen auszuführen, was sie über mehrere Jahre hinweg tun. Die großen Schalen sind Majolika auf weißer Glasur auf gebranntem Ton. Wie in herbstlichem Rückblick erscheinen hier Elemente der früheren „Bibelholzschnitte“. Fritz Harnest wendet sich hier nicht zum ersten Mal der Keramik zu: Bereits etwa 1952 hat er eine Vase mit eigener Hand gebaut und bemalt - ein Einzelstück - und ihr den Titel „Engel bringt das Brot“ gegeben.
Mutz Harnest stirbt am 13. Mai 1991. Er kommt lange Zeit nur schwer darüber hinweg. Den inneren Prozeß reflektiert die außergewöhnliche Bildauffassung einer eigenen Periode. 1996 wird er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, 1997 erhält er den Kulturpreis der Stadt Rosenheim. Seine lebendige Schaffenskraft erhält ihn bis zu seinem Tod am 28. Januar 1999.
„Die Bilder [von Fritz Harnest] sind Gleichnisse für
organisches Leben, für die stetigen Vorgänge und Stationen von
Werden und Vergehen der Formen, Metaphorik für das Schicksal von Natur-
und Menschenwerk“. (J. A. Schmoll: Mutz Harnest / Fritz Harnest: Holzschnitte
Bilder Zeichnungen. Kunstverein München 1974.)
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